Kreuzfahrt im Kreuzfeuer
Ich lese gerade den neuen Spiegel. Titel: S.O.S – Wahnsinn Kreuzfahrt – die dunkle Seite des Traumurlaubs. Und ich muss ehrlich sagen: Ich bin enttäuscht. Eine Story mit der Anmutung „Mein schrecklichstes Ferienerlebnis“, garniert mit ein paar Fakten zum ungebremsten Wachstum der Kreuzfahrt auf Kosten der Ökologie. Das schreckliche Kreuzfahrt-Ferienerlebnis kann ich auf literarisch höherem Niveau bei David Foster-Wallace nachlesen („Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich“), das Werk ist mittlerweile 23 Jahre alt. Und das Thema Wachstum auf Kosten von Arbeitsbedingungen, Ökologie und sanftem Tourismus habe ich in vielen Gesprächen und Essays auch schon deutlich differenzierter erlebt.
Traumschiff – Sendung für Sendung Sehnsüchte wecken
Die Entwicklung der Kreuzfahrt vom elitären Nischenprodukt zum Massenmarkt, diese Einordnung hätte ich mir schon einmal historisch gewünscht. Gerade vom Spiegel. Was ist da passiert? Wie ist es zur Cruise Industrie gekommen? Und vor allem wer sind die Nutznießer davon? Nicht nur die Reedereien, auch wenn einige für meinen Geschmack einen Grad der Gierigkeit erreicht haben, der nicht mehr gesund ist.
Destinationen wie die Stadt, in der ich wohne, profitieren immens von der Kreuzfahrt. Die Wertschöpfung in Hamburg soll bei weit über 500 Millionen Euro liegen. Selbst die Elbphilharmonie dürfte einen Teil der Refinanzierung durch Kreuzfahrtpassagiere verbuchen. Dass sich deren Zahl – so der Spiegel – seit 2009 verdoppelt hat, ist so analytisch wie der Endstand eines Fußballspiels.
Bis AIDA „dank“ amerikanischer Integration Fahrt auf genommen hat, war die Kreuzfahrt elitär. Einer kleinen zahlungskräftigen Minderheit vorbehalten. Die Masse durfte nur davon träumen. Dank öffentlich rechtlicher Hilfe mit dem passenden Titel: Traumschiff. Bei einem Millionen-Publikum wurden Sendung für Sendung Sehnsüchte geweckt. Fiktional, damit es intensiver wirkt. Es beschert dem ZDF immer noch höchste Einschaltquoten oder wie wir heute zu sagen pflegen: Traffic.
Andere Sender, die mir bestens vertraut sind, haben auf Kreuzfahrt im Fernsehprogramm gesetzt, weil ihnen Schiffstaufen und Cruise Days ebenfalls immense Einschaltquoten beschert haben. Die auch sie brauchen. Denn Du kannst auf Dauer nicht von Mehrheiten Gebühren verlangen und für Minderheiten senden. Genau den Traffic, den sich der Spiegel auch von seinem Aufmacher und seinem Titelblatt verspricht. Neben der journalistischen Ambition, die ohne Frage gerade in diesen durchgebloggten Zeiten verdammt wichtig ist.
Harte Landung in der Scheinheiligkeit
Vielleicht bin ich auch deshalb enttäuscht: Die Fallhöhe vom Olymp der Moral ist verdammt hoch und findet eine harte Landung in der Scheinheiligkeit. In besagter Spiegelausgabe kommen die größten Anzeigen aus der Automobil-Industrie. Und die stellt nicht ihr neuestes Hybrid-Modell vor. Zumindest schlagen die Sensoren noch etwas an, sonst stünde nicht auf Seite 3, dass der Spiegel seine lukrativen Leserreisen auf Kreuzfahrtschiffen „neu überdenken“ würde. Dass die Zeilen vermutlich auf einem Übersee-PC oder Laptop formuliert wurden, macht es nicht weniger scheinheilig. Zur Info: Das Gerät ist auf dem Frachtwege und nicht mit dem E-Bike in die Redaktion gelangt. Frachtschiffe fahren meist mit Schweröl und machen weit über 95 Prozent des Schiffsverkehrs aus. Das entlastet die Kreuzfahrt keineswegs. Sie ist eben medienwirksamer als ein Containerschiff. Auch im Katastrophen-Fall wie wir im Fall der Titanic oder zuletzt Costa Concordia sehen konnten. Letztlich ist so ein Unglück ein „Glücksfall“ für medialen Traffic. Ob in Radio, TV, Print oder Online.
Was wir in der Kreuzfahrt in den letzten Jahren sehen, das haben wir auf dem Festland doch auch längst erlebt. In El Arenal, Benidorm oder Playa del Ingles. Massentourismus, der für eine Masse bezahlbar ist. Lidlismus. Bezeichnend, dass gerade in deren Filialen in jedem Reiseflyer Kreuzfahrten angeboten werden.
Auch ich lebe von der Kreuzfahrt. Schreibe den deutschen Kreuzfahrt Guide, produziere Event-Kreuzfahrten und halte Vorträge über Kreuzfahrt. In denen grundsätzlich auch immer die Themen Nachhaltigkeit, Overtourism und Sicherheit vorkommen. Kritisch, aber nicht scheinheilig und hoffentlich differenziert genug.
Wie können wir die gängige Praxis heute ändern?
Die Zukunft der Kreuzfahrt kann nur ökologisch verträglich sein. Kommende Neubauten von TUI Cruises und AIDA werden mit Flüssiggas LNG betrieben. Ein konkreter Weg, auch wenn das vermutlich eher ein Provisorium ist auf dem Weg zum Hybrid-Modell oder anderen Energien. Aber ein Ansatz. Wie können wir die gängige Praxis ändern? Jetzt, heute. Das geht nur durch Umrüsten und das ist eine Frage der finanziellen und logistischen Machbarkeit. Ich vermute mal, dass dann nur die börsennotierte Cruise Industrie übrig bleibt und Schiffe wie „Hamburg“, „Albatros“, vielleicht sogar die „Europa“ ein Stück Geschichte sind.
Ich finde es befremdend mit 5.000 Passagieren durch die Gassen von Santorini zu gehen, auch andere Destinationen wie Tallinn oder auch Palma stehen vor dem Kreuzfahrt-Kollaps. Aber es gehören zwei Seiten dazu. Reedereien, die diese Kapazitäten schaffen und Häfen, die den „Umsatz“ herzlich willkommen heißen.
Im Jahr 2004 war ich mit AIDA im Libanon, habe von dort einen Ausflug gemacht in Orte, die ich nur aus den Tagesthemen kannte. Ich habe in Baalbek mit zwei Hisbollah Leuten einen sehr spannenden Nachmittag in einem Café verbracht. Nach Damaskus waren es nur 102 Kilometer. Das Gespräch hat meine Sinne geschärft. Und die Kreuzfahrt hat mir (und vielen anderen) nicht nur diese Welt näher gebracht. Bei aller berechtigten Kritik, wünsche ich mir in der Kreuzfahrt-Berichterstattung weniger Scheinheiligkeit und einfach mehr Differenziertheit. Gerade vom Spiegel. Oder geht es da vielleicht auch ein klitzekleines bisschen um „Traffic“? Den bringt ja Differenziertheit nicht unbedingt. Das weiß ja sogar Donald Trump.
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